Roman: Die Glücklichen: Sloan Wilsons
US-Klassiker „Der Mann im grauen Flanell“.
Tagesspiegel – Kultur
14.07.2013
Warum lesen wir eigentlich so gerne 50er-Jahre-Romane aus Amerika? An Sloan Wilsons neu übersetztem Roman „Der Mann im grauen Flanell“ lässt sich das gut erklären. Er wurde damals mit Gregory Peck verfilmt. . VON ANDREAS SCHÄFER
Die Schlagwörter heißen: 50er Jahre, Mad-Men-Schick, amerikanisches Vorstadthaus mit oder ohne Pool. Die Bilderbuchfamilie als Schutzschild, hinter dem man den Aufstieg plant. Und am Abend, nach der Heimkunft, der obligatorische Martini.
Was hätten Autoren wie John Cheever oder Richard Yates aus diesem Setting gemacht? Junges Paar mit drei Kindern und Eigenheim in den Suburbs sucht sein Glück und – reizt sich dabei bis aufs Blut (Yates) oder verliert sich in durchgeknallten Rache- und Erlösungsfantasien (Cheever). Und was tun Tom und Betsy Rath in Sloan Wilsons Roman „Der Mann im Grauen Flanell“?, 1955 in Amerika so erfolgreich erschienen, dass er ein Jahr später mit Gregory Peck verfilmt wurde?
Die beiden suchen nicht nur, sie finden das Glück! Das ist das unspektakulär Überraschende dieses Klassikers, der von Eike Schönfeld nun neu übersetzt wurde. Geradezu unerhört für einen amerikanischen 50er-Jahre-Roman ! Natürlich, beide wollen das, was in der Zeit alle wollten. Mehr Geld. Ein größeres Haus, besserer Gin, Privatschulen für die Kinder. Und sie streiten sich mit dem Diener einer verstorbenen Großmutter ums Erbe. Aber sonst? Wo bleiben die Abgründe? Keine Alkoholexzesse, keine Wahnvorstellungen, keine Affären. Tom und Betsy sind nicht einmal waschechte „desperate characters“, verzweifelte Charaktere, wie einer der Vorzeigeromane des Genres heißt, verfasst von der wunderbaren Paula Fox.
Man könnte auch Martin Walser lesen. Aber bei Wilson gibt es keine Gartenzwerge – und keine Abgründe
Was ist mit diesem Buch bloß los? Nichts. Vielleicht haben wir nur einen Knick in der Optik. Warum lieben wir eigentlich 50er- Jahre-Romane aus Amerika stürzen uns auf jeden wiederentdeckten sogenannten Klassiker, der seit der Wiederentdeckung von Raymond Carver auf Deutsch herauskommt? Maeve Brennan, John Cheever, Richard Yates, Paula Fox, Charles Simmons. Weil diese Autoren das Bekannte groß und dramatisch inszenieren. Weil sie uns nah sind und zugleich schaurig fern. Immer geht es um das Leben der Mittelschicht; der Wunsch, dazuzugehören, ringt mit dem Schauder vor der eigenen Gesichtslosigkeit. Das Zufriedenheitsversprechen der Durchschnittlichkeit kabbelt sich mit Individualisierungstendenzen und bescheidenen Ausbruchsfantasien.
Klar, wer solche Geschichten mag, kann auch Martin Walser lesen – aber man möchte es lieber ohne Gartenzwerge und jägerzaunigen Goethe-Bezug, durchweht vom Wind der weiten Welt. Genau das liefert der klassische US- Roman: Die vertrauten Dilemmata erscheinen in archaischem Gewand. Die Figuren sind in ihren Wünschen naiver, scheinbar unreif, irgendwie roher. Die Bungalows sind der schicke, glasfassadige Darstellungsraum des erfolgreichen Ichs, aber gleichzeitig eine unheimliche Spiegelfront der inneren Unbehaustheit, mit windigen Ecken, in denen sich Verzweiflung und unterdrückte Gewalt ansammeln. Der amerikanische Eigenheimbesitzer ist eben weniger Häuslebäuer und mehr Landeinnehmer, Nachfahr der Siedler, abenteuerlich, hungrig, auch aggressiv. In anständigen 50er-Jahre-Romanen treten deshalb früher oder später die Antihelden Doppelmoral, Alkoholismus und Rassismus in die heimeligen Edward-Hopper-Räume und lassen uns in unseren westeuropäischen Lesesesseln wohlig erschauern.
Der Schriftsteller, Reporter und Hochschullehrer Sloan Wilson – 1920 geboren, 2003 gestorben – leistet sich die Freiheit, diesem Klischee nicht zu entsprechen. „Der Mann im grauen Flanell“ ist mitreißend, anrührend, aber undämonisch. Eben die gewitzt in Szene gesetzte Normalität und die facettenreiche Figurenzeichnung machen den Reiz des Buchs aus.
Betsys Ehrgeiz etwa wird durch ihre mädchenhafte Verträumtheit ironisiert und durch ihre Bodenständigkeit gebrochen. Tom, der bei einem Medienmogul anheuert, um mehr Geld zu verdienen, schleppt ein Geheimnis aus seiner Kriegsvergangenheit mit sich herum. Aber anstatt vor ihm und seiner Frau in die betäubenden Arme einer anderen zu fliehen, wartet er tapfer auf den richtigen Moment, um Betsy von ihm zu erzählen. Und da er schon beim Aufrichtigkeitüben ist, teilt er seinem Chef mit, dass er, statt Karriere zu machen, seine Wochenenden lieber mit seinen Kindern verbringt. Kurz: Wilson erzählt nicht effekthascherisch vom schaurigen Glanz des falschen Lebens, sondern von der Schwierigkeit der kleinen Schritte ins Richtige.
Sloan Wilson: Der Mann im grauen Flanell. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld. Dumont Verlag, Köln 2013. 446 Seiten, 22 €.