VON PLATEAUSANDALEN UND RINGTRAGENDEN TAUBEN
HUMBOLDT Magazin – HUMBOLDT-FORUM
2015
Dialog der Kulturen. Eine Idee, zwei Museen, vier Kooperationspartner auf vier Etagen – mit insgesamt gut 40.000 Quadratmetern. Eine erste Hausbesichtigung.
TEXT: ANDREAS SCHÄFER
STELLEN WIR uns etwas vor: keine grauen Betonflächen mit Wasserlachen, keine offenen Technikschächte – keine Baustelle. Stattdessen: lichte Sandsteinfassaden (außen), Cafés (innen), Ticketcounter, Rolltreppen. Stellen wir uns vor: Das Humboldt-Forum im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss ist fertig.
Es ist das Jahr 2019, das Fest mit den offiziellen Reden (Rückblicke auf 20 Jahre Diskussion!) ist gefeiert; und nachdem der allererste Rummel vorüber ist, besuchen auch wir das Humboldt-Forum.
Nun stehen wir in der hohen Eingangshalle, die über drei Stockwerke von Galerien umgeben ist. Dort geht es zum „Museum des Ortes“ der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, da zum Bühnensaal. Die Ersten, die mit am Ticketschalter warteten, rollen nach oben, um im Kuppelsaal vielleicht die „Höhle der sechzehn Schwert- träger“ zu besuchen. Wir verweilen noch, lassen den Blick über die Nischen in den Galerien und die großen, darin abgebildeten Zeichen wandern. Was sind das? Formen, die an Häuser erinnern, ohne welche zu sein; Strukturen, die an Muscheln denken lassen; Kreise, Raster – das gesamte Foyer prägen seltsame Symbole, die lesbar scheinen, aber doch nicht zu verstehen sind. Die Eingangshalle. So könnte sie – nach aktuellen Planungen – also aussehen.
Vom Kuriositätenkabinett zur Republik der Dinge.
ALS WIR näher an eine Nische treten, in der eine kristalline Sternstruktur leuchtet, erfahren wir, dass es sich dabei um ein sogenanntes Muqarna handelt. Muqarnas (wörtlich: das Erstarrte, Gefrorene) sind hochkomplexe Architekturelemente, die schon seit dem 10. Jahrhundert von arabischen Sufis angefertigt werden – als Auseinandersetzung mit der Geometrie der Lichtbrechung und als Meditation über die Schöpfung.
Beim Flanieren erkennen wir, dass jede der Nischen von anderen Traditionen erzählt: Es geht um Tausch und Handel, Migration und Reise, um unterschiedliche Gottesvorstellungen oder das Verhältnis von Eigenem und Fremdem. Die Installation bezieht sich spielerisch auf die Kunstkammern, mit denen in der Renaissance das Sammeln von Objekten und Wissen angefangen hat.
Die Kunstkammer.
Vielleicht lässt sich von der Idee (und der Herausforderung) des Humboldt-Forums am besten an und mit ihr erzählen. Kunst- oder Wunderkammern waren Räume, in denen kostbare Artefakte, seltene Naturalien, Objekte aus fernen Ländern und uner- klärliche Dinge aufbewahrt wurden. Hier sollten sich alle Elemente der Welt in einer Sammlung vereinen. Auch Ber- lin hatte seine Kunstkammer, die unter Friedrich III. Mitte des 17. Jahrhunderts ins Berliner Stadtschloss zog. Für den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz barg die Kunstkammer gar ein utopisches Potenzial, für sie entwickelte er die Idee eines „Theaters der Natur und Kunst“, das gleichzeitig ein Ort des Sammelns und Zeigens, des Forschens, Spielens und Lernens sein sollte. Die Umsetzung scheiterte – an den Kosten; und im 19. Jahrhundert gingen die Objekte der Kunstkammer schließlich in den Museen der Universitätssammlungen auf.
Veranstaltungsort, Forschungslabor, und Ausstellung. Das Humboldt-Forum knüpft an den universalen Anspruch der Kunstkammer und an Leibniz’ Vorstellung von einem „Wissenstheater“ an, allerdings – und das ist entscheidend – unter den demokratischen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts und mit dem Wissen um die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit. Die alten Kunstkammern waren Orte des Staunens. Aber eben auch des Bestaunens: Mitteleuropäer bestaunten die Dinge der anderen, Fremden, als Kuriositäten und fühlten sich dabei nicht sel- ten deren Kulturen überlegen (und später berechtigt, deren Länder zu kolonialisieren und auszubeuten).
Im Humboldt-Forum heißt es nicht „Wir und die anderen“. Denn wer sollte mit diesem „Wir“ gemeint sein – und wer ausgeschlossen werden? Das Humboldt-Forum fragt: Wie leben wir alle – früher und heute? Was gibt es für Ähnlichkeiten und Verflechtungen, aber auch für Unterschiede zwischen den Kulturen? Was können wir verstehen – und wo bleiben wir uns selbst ein ewiges Rätsel? Das Humboldt-Forum erzählt vom Dialog der Kulturen aus der Perspektive einer vernetzten Gegenwart, und das heißt, aus einem globalen Zusammengehörigkeitsgefühl heraus. Mit dem Bewusstsein von einer Welt.