WIR BRAUCHEN PLATZ ZUM SPIELEN!

HUMBOLDT Magazin – HUMBOLDT-FORUM,

produziert von Tempus Corporate im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

2015

Innenarchitekt des Humboldt-Forums:
Tim Ventimiglia gestaltet die Ausstellung der Museen. Ein Gespräch über seine Arbeit in Alaska, die Kunst, Dinge zum Sprechen zu bringen, und seinen Traum vom Museum als lebendigem Archiv.
INTERVIEW: ANDREAS SCHÄFER

SEIT FAST 20 Jahren plant und entwirft der studierte Architekt Tim Ventimiglia für Ralph Appelbaum Associates (RAA), den erfolgreichsten Museumsgestalter der Gegenwart; seit 2012 lebt er als RAA-Geschäftsführer in Berlin. Der 46-Jährige, in den USA geboren, hat Ausstellungen auf der ganzen Welt eingerichtet, darunter ein Museum der Weltreligionen in Taiwan, das Smithsonian Arctic Studies Center in Alaska und ein Museum für Chemie in Philadelphia.
Helle, offene Räume in Berlin-Mitte. Junge Menschen sitzen an Schreibtischen vor silbernen Computern. Tim Ventimiglia, der ausgezeichnet Deutsch spricht, empfängt in einem ruhigen Hinterzimmer. Auf einem Tisch liegen Harpunenspitzen, ein schamanistisches Männchen aus Karibu-Knochen und eine Bibermütze.

Was sind das für schöne besondere Gegenstände?

TIM VENTIMIGLIA Die habe ich während meiner Zeit in Alaska gesammelt. Zusammen mit Vertretern indigener Gemeinschaften hatten wir in Anchorage eine Ausstellung geplant. Die Menschen dort orientieren sich vor allem an Gegenständen, um etwas von ihrer Geschichte zu erzählen. Da sind wir schon mittendrin! Geschichten mit Objekten erzählen. Dazu habe ich folgende Berufsbeschreibungen gefunden: Museumsgestalter, Museumsdesigner, es wird aber auch von Museumsregisseuren gesprochen. Sind Sie ein solcher?
TV Ausstellungsgestaltung, Ausstellungsarchitektur, Szenografie – das hat viele Namen. Schon als Kind war ich ein storyteller, aber irgendwann sagten meine Eltern zu mir: Du musst auch einen Beruf erlernen. So habe ich Architektur studiert. Aber ich kam zum Geschichtenerzählen, zum storytelling zurück – und heute erzähle ich Geschichten in einer Architektur.

Sie sind in den USA geboren und aufgewachsen, haben dort, aber auch in Europa studiert und nach dem Architekturstudium kurz in Wien gearbeitet.

TV Unter der Architektin Elsa Prochazka bekam ich den Auftrag, Gedenkstätten in ehemaligen Wohnungen berühmter Komponisten zu gestalten. Mozart, Strauss, van Beethoven. Damals wusste ich noch nicht, dass es den Beruf des Ausstellungsgestalters überhaupt gibt. Später habe ich in Washington das United States Holocaust Memorial Museum besucht und gedacht: Das ist ja der Wahnsinn! Die Ausstellungsgestaltung orientiert sich dort unglaublich stark an der Architektur des Gebäudes – wer hat das gemacht? Und das war Ralph Appelbaum. Ich bin zu ihm gegangen und habe gesagt: „Ich möchte für Sie arbeiten.“ Und jetzt bin ich bald 20 Jahre bei ihm.

Sie haben Naturkunde-, Technik-, Nationalmuseen und Designausstellungen eingerichtet. In der letzten Zeit beschäftigen Sie sich aber vor allem mit ethnologischen Sammlungen.

TV Ich habe ein großes Interesse an Menschen und ihren Geschichten, an Traditionen und Religionen. Aktuell habe ich zwei große Ethnomuseen, das WeltMuseum in Wien und eben das Humboldt-Forum. Ich denke, die ethnologischen Museen versuchen gerade, eine neue Rolle, eine neue Relevanz für sich und auch für ein breites Publikum zu finden. Was ist ihre Aufgabe heute als Institution? Die Globalisierung liefert eine Gelegenheit, die historischen Sammlungen neu zu betrachten. Im Humboldt-Forum sprechen wir zum Beispiel schwierige Themen ganz direkt an: etwa den Kolonialismus und die Sammlungsherkunft. All das wird im Vordergrund stehen und diskutiert werden. Es geht nicht nur darum, Objekte auszustellen – wir wollen einen Ort entwerfen, an dem Diskussionen stattfinden können, ob zwischen Besuchern, Fachleuten oder Kuratoren. Was viele nicht wissen: Alle Ethnologen betreiben Feldforschung, aber nicht nur, um Objekte zu sammeln, sondern auch um Wissen zwischen den Kulturen auszutauschen. Für Ethnologen sind die Schnittstellen interessant.

Können Sie das erklären?

TV Wie hat eine Kultur eine andere beeinflusst? Aus meiner Sicht hat Globalisierung vor Tausenden Jahren begonnen, das ist keine neue Erfindung. Man muss nur auf die Seidenstraße gucken. Gegenseitige Beeinflussung über Jahrhunderte! Deshalb hat man dort den Islam, den Hinduismus, den Buddhismus und alles, was dazwischen liegt. Ich habe ein Museum der Weltreligionen in Taipeh geplant. Es gibt nicht nur zwölf Religionen – es gibt weit über 4.000. Und die haben sich nur gebildet, weil es immer einen Austausch zwischen den Kulturen gab. Mein fünfjähriger Sohn hat zum Beispiel italienische, deutsche, englische, schwedische und libanesische Wurzeln. Er ist ein hochkomplexer Mensch. Und es ist wichtig, dass er einen Ort hat, wo er ein Selbstverständnis entwickeln kann. Ein Museum der Weltkulturen könnte solch ein Ort sein.

Das Humboldt-Forum eröffnet 2019. Wo stehen Sie jetzt, im Frühjahr 2015?

TV Wir sind gerade bei der Abgabe der Entwurfsplanung, das ist das Ende der zweiten Phase. Ausgehend von den Konzepten der beiden Museumsdirektoren Viola König und Klaas Ruitenbeek und den Kuratoren haben wir eine ziemlich detaillierte Planung fertiggestellt und dem Bauherrn übergeben.

Womit fangen Sie an, wie begann der kreative Prozess?

TV Bei einer Ausstellung über Weltkulturen beginnt man natürlich mit der Welt. Das Projekt hat die Namensgeber Alexander und Wilhelm von Humboldt. Mit ihnen habe ich angefangen. Was waren ihre Gedanken, wie kann man aus denen eine Klammer schaffen?

Und was haben Sie bei den HumboldtBrüdern gefunden?

TV Den einfachen Begriff: Neugier. Neugier für die Vielfalt der Kulturen. Man kann sagen, die höchste Form der Neugier ist unser Interesse für die anderen. Wie wohnen sie, was essen sie, mit wem handeln sie, zu wem beten sie, was ist für sie Schönheit? Durch andere beginnen wir auch über uns nachzudenken. Im Idealfall ist ein Museum ein Ort, an dem im Besucher eine Verwandlung stattfindet.

Das Museum in Alaska, von dem Sie vorhin sprachen, gilt als Vorbild
für das Humboldt-Forum. Inwiefern?

TV Das war ein Projekt, das in enger Zusammenarbeit mit native communities in Alaska entstanden ist. Wir haben beim Smithsonian Arctic Studies Center in Anchorage zusammen mit dem Architekten David Chipperfield eine Ausstellung, ein Medienkonzept entwickelt, in dem zu jedem Objekt immer wieder neue Erzählungen aufgerufen und vor allem auch hinzugefügt werden können. Es ist wie ein lebendiges Archiv, das immer weiter wächst – und jeder Besucher hat Zugang zu diesem Wissen. Natürlich ist das Museum auch für Touristen gedacht, aber viel wichtiger ist, dass es ein Ort ist, an dem indigene Gemeinschaften und ihre alten Objekte zusammenkommen, und dass die Menschen selbst es sind, die über ihre Kultur sprechen.

Auch das Humboldt-Forum will eine solche Multiperspektivität. Wie übersetzen Sie die nach Berlin?

TV Auf 20.000 Quadratmetern kann natürlich nicht alles multiperspektivisch sein. Da braucht man wiederkehrende Elemente, sonst landet man im Karneval. Aber wichtig ist die Einstellung. Eine Institution verliert nicht an Autorität, wenn sie ihre Türen öffnet und andere Stimmen einlädt! Wie gehen wir ran? Es gibt 45 einzelne Themenmodule, und jedes hat eine andere Ausstellungsarchitektur. Zum Beispiel Amazonien: Da besteht die Architektur aus konzentrischen Kreisen. Und diese Kreise entsprechen der Form, in der einige Völker vom Amazonas die Welt für sich darstellen. Der innerste Kreis repräsentiert das Spirituelle, das Geistige, dann kommt das Zuhause. Der nächste Ring beschreibt den Garten, noch weiter draußen liegt der Wald und das Gebiet der Jagd. Wir haben uns bei der Gestaltung mit Mitgliedern einer indigenen Universität in Venezuela abgestimmt. Wir haben gefragt: Ist das richtig so? So haben wir auch in Alaska gearbeitet. Aber es dauert einfach, bis ein Dialog entsteht, bis das Vertrauen da ist. Während meiner Arbeit in Alaska war ich siebenmal mit Vertretern der indigenen communities zusammen, und die ersten drei Male habe ich nichts gesagt. Sie wollten von mir nichts hören. Erst langsam entwickelte sich ein Austausch. Wir haben übers Angeln geredet und über Schneemobile. So ging das los …

Sie betonen die Zeit, die es braucht, um einen vertrauensvollen Dialog zu entwickeln. Heißt das, dass diese Vertrauensbildung am Humboldt-Forum noch nicht so weit fortgeschritten ist?

TV Im Gegenteil – viele Kuratoren sind seit Jahrzehnten mit diesem Austausch beschäftigt! Das bringt uns eher zur Frage zurück, wie man Multiperspektivität umsetzt. Wir sind für die Ersteinrichtung zuständig. Ich rate aber für die Zukunft, nicht jeden Quadratmeter durchzuplanen. Es sollen Freiflächen erhalten bleiben für Wechselausstellungen, für kleine Interventionen, für Taschenausstellungen, wie wir sie nennen. Dort können Kuratoren, Künstler oder Vertreter aus der jeweiligen Kultur Ausstellungen einrichten, dort kann man aber auch schnell auf gesellschaftliche Ereignisse reagieren und innerhalb weniger Monate eine schöne kleine Ausstellung einrichten. Das ist fürs Humboldt-Forum enorm wichtig! Neben dem Standbein gibt es das Spielbein. Man braucht Platz zum Spielen!

Sie haben von wiederkehrenden Elementen gesprochen. Sind damit die sogenannten Schaudepots gemeint?

TV Auch. Mit den Schaudepots öffnen wir den Blick hinter die Kulissen und zeigen Dinge, die der Besucher üblicherweise nicht sieht. Ich als Ausstellungsgestalter bin ständig in den Depots. Ich sehe diese unglaubliche Tiefe, und diese Fülle wollten wir auch ins Humboldt-Forum integrieren. In den Schaudepots werden Objekte, die nicht exponiert in Einzelvitrinen gezeigt werden, in großer Menge präsentiert und auch für die Forschung zugänglich sein. Es gibt dort zum Beispiel kleine abgetrennte Nischen, in denen man Objekte herausnehmen und untersuchen kann. Wir werden im Humboldt-Forum viel mehr Objekte zeigen als jetzt in Dahlem.

Sie sagten, dass das Humboldt-Forum auch kritische Fragen direkt angeht. Vor allem die Sammlungen aus Afrika sind umstritten. Wie wollen Sie diese darstellen?

TV Im Modul zu Benin stellen wir die berühmten Benin-Bronzereliefs aus …

… die von britischen Truppen entwendet wurden, als sie Benin 1897 überfielen, die Hauptstadt und den Palast niederbrannten. Und die dann über den Kunstmarkt nach Berlin gelangten …

TV Die Platten hängen in einem Raster übereinander, wie vermutlich im Palast. Hier sieht man auch die Königinmutter, eine wichtige Figur in der Geschichte dieses Reichs. Auf der anderen Seite der Wand versammeln wir dagegen die vielen Stimmen zu der Geschichte. Kuratoren aus Europa und Afrika, Historiker, Vertreter des Königreichs Benin, Künstler – sie alle reden auf der Rückseite des Raums, die in Wirklichkeit die Außenseite ist und den Bezug nach draußen hat. Hier kann man über Filme oder Einspielungen die verschiedenen Haltungen zu diesen Sammlungen hören. Man erfährt etwas über das Königreich Benin, das ja noch immer existiert. Der König existiert. Man hört seine Stimme.

Werden auch Rückgabeforderungen angesprochen?

TV Die Auseinandersetzung um die Kunst. Klar. Dort spricht Dr. Peter Junge, der das Modul kuratiert hat. Daneben der König von Benin. Alles wird thematisiert.

Das Schloss wurde ursprünglich nicht als Museum konzipiert. Wie passt der Inhalt zur Hülle?

TV Ich stelle nicht die Frage: Sollen wir ein Schloss wiederaufbauen oder nicht? Als Architekt finde ich es wichtig, dass Berlin in der Stadtmitte einen repräsentativen Raum zur Geltung bringt. Aber in welcher Form? Das ist nicht meine Frage. Meine Herausforderung war: großes Gebäude, viel Fläche, viele Fenster – das ist nicht leicht, wenn es darum geht, Tausende empfindliche Objekte auszustellen. Ich sah aber auch gleich die Möglichkeit, die Fenster als Orientierung zu nutzen, als Potenzial, den Bezug zu Berlin zu inszenieren. Berlin ist für mich eine Stadt der Vielfalt, eine Stadt mit vielen communities, über 100 Sprachen werden allein in Neukölln gesprochen. Diesen Bezug braucht das Forum. Mit großem Aufwand machen wir es jetzt möglich, dass – wo der Bezug sinnvoll ist – die Fenster symbolisch „offengelassen“ werden. Tatsache ist: Das Innere ist ein hochmodernes Gebäude – und übrigens auch ein ziemlich grünes Gebäude; es ist sehr fortschrittlich konzipiert.

Stellen wir uns vor: Ein Kind kommt ins Foyer. Wie nehmen Sie es an die Hand?

TV Ich nehme mein eigenes Kind an die Hand. Ein Fünfjähriger liest keine Texte, aber er begeistert sich für menschliche Darstellungen. Er fasst Dinge gern an, und das wird er im Humboldt-Forum an sehr vielen Stellen können. Ganz bewusst haben wir Juniormuseen, Museumsflächen für Jugendliche und Kinder, eingeplant und sie nicht, wie häufig, in einem Seitenflügel versteckt. Die Juniorflächen sind mittendrin, und dazu gehören auch Aktionsräume, in denen man etwas basteln oder an einer Theaterinszenierung teilnehmen kann. Und natürlich können die Kinder auch den berühmten Katamaran aus der Südsee besteigen. Ich als Vater suche für meinen Sohn immer einen Drehund Angelpunkt, an dem wir miteinander reden und vielleicht zusammen etwas machen können. Dass dieser Dialog, den wir vorhin als Diskurs beschrieben haben, auch zwischen Eltern und Kindern zustande kommt: Das ist mein großes Ziel.